Herz aus Blut und Asche

„Blut. Sie konnte spüren, wie es von den rauen Steinstufen bis hin zu den fackelgeschwärzten Wänden an ihr zog, am Rand ihres Bewusstseins lauerte wie ein stets gegenwärtiger Schatten. Es wäre nur so wenig erforderlich – ein Aufzucken ihres Willens –, um jeden einzelnen Tropfen davon unter ihre Kontrolle zu bringen.“ S. 9

Die Kolst Pryntsessa ist tot, heißt es. Ertrunken in den eisigen Fängen des Tigerschwanzflusses, als sie vor ihrer Hinrichtung flüchtete. Doch Anastacya Mikhailov, Kind der Krone Kyrilliens, die Bluthexe von Salskoff und Mörderin ihres eigenen Vaters lebt. Und sie sinnt auf Rache. Rache an dem Mann, der den Kaiser tatsächlich umbrachte. Und nur einer, so heißt es, besitzt die Fähigkeiten, ihn aufzuspüren – der Verbrecherkönig Ramson Schnellzunge.

Frisch aus dem Urlaub und einer kleinen Pause melde ich mich mit einem Titel zurück, der mich aus meiner Leseflaute ziehen sollte. Das war zumindest der Plan. Und das erste Drittel leistete tatsächlich auch gute Arbeit, bis… nunja… die große Enttäuschung einsetzte. Eine große Enttäuschung für mich, wohlgemerkt, denn es stellte sich heraus, dass die Geschichte weit mehr Jugendbuch ist, als ich zunächst angenommen hatte: ein überschaubarer Charakterkatalog mit teils fragwürdig raschen Charakterentwicklungen, hanebüchenen Wendungen, klischeebeladenen Phrasen, die mitunter vor Pathos triefen und einer zwar groß angelegten, jedoch  furchtbar klein erscheinenden Welt, die nur auf die notwendigsten Details eingeht.

Doch das kritisiere ich aus der Sicht einer Leserin, die sich… größeres erwartet hatte. Wenn ich jedoch auf mein jugendliches Ich zurückschaue, so bin ich sicher, ich hätte es geliebt. Drum sei vorweg gesagt: Auch wenn „Herz aus Blut und Asche“ aus meiner Sicht nicht ganz mithalten kann, sollten Fans der alten Fantasy-Titel von Lynn Raven („Der Spiegel aus Feuer und Eis“) und Kristin Cashore („Die Beschenkte“), vor allem jedoch LeserInnen der neuen Romantasy à la „Knochendiebin“ oder „Fire & Frost“ dringend einmal einen Blick in dieses Buch werfen, da ich mir sicher bin, dass es in dieser Zielgruppe großen Anklang finden könnte – zumal es der Beginn einer Trilogie ist. Tatsächlich erinnerte mich das Worldbuilding sogar an die „Grischa“-Bände von Leigh Bardugo, eint beide Geschichten doch die Inspiration vom russischen Zarenreich, die schneebedeckte, menschenfeindliche Taiga mit ihrer ganz eigenen märchenhaften Stimmung sowie eine vom Regime unterdrückte Gruppe von Menschen mit besonderen Fähigkeiten, die Grischa bzw. hier die Affiniten, die beginnen, sich aufzulehnen…

Denn anders als in den übrigen Teilen der Welt werden die magisch Begabten im Kyrillischen Kaiserreich versklavt und durch Yaeger, Affiniten, welche die Fähigkeiten anderer blockieren können, Deys’voshk-Gift oder Schwartzsteinzellen in Schach gehalten (Weshalb sie trotzdem noch in Scharen nach Kyrillien fliehen, ist ein Plot hole, das zu klären wohl zukünftigen Bänden vorbehalten bleibt). Und unsere Protagonistin Ana ist eine von ihnen, eine mächtige obendrein, deren Fähigkeit, Blut zu kontrollieren, mich so sehr faszinierte (Katara, du hier?), dass ich zu dem Buch griff. Doch überzeugen konnten mich Ana und ihre Fähigkeiten nicht. Zu willkürlich werden sie eingesetzt, wo einmal Nachdenken eine brenzlige Situation hätte auflösen können, zu wenig Spannung wird um die wahre Macht dahinter aufgebaut, zu oft kommt ein Yaeger daher und blockiert die Kräfte (an dieser Stelle ist mir ein weiterer Logikfehler aufgefallen: warum kann Ana in solchen Situationen die Menschen in ihrer Umgebung bzw. vielmehr deren Blut noch spüren wo die Blutmagie doch eigentlich blockiert sein sollte..?). Anstatt Faszination aufzubauen, verkommt die Fähigkeit also zu einer willkürlichen Waffe. Schade. Ebenso wie um all die anderen Affinitenfähigkeiten und ihre Geschichten, die nur kurz und lückenhaft behandelt werden – was ich mir nun unter einer Waldnymphe und einer Fleischaffinite so richtig vorstellen kann, weiß ich noch immer nicht.

Ein flügelloser Vogel, hatten ihre Windmeister zu ihr gesagt, nachdem sie mit dem Fliegen aufgehört hatte. Wie kann ein Vogel Höhenangst haben?“ S. 439

Trotz einiger Lücken in der Weltenerklärung, die insgesamt leider viel zu kurz kommt, obwohl Ana als Kronprinzessin einige Einblicke in die weltlichen Belange haben dürfte – von den anderen Reichen weiß ich etwa so gut wie nichts außer dem, was die Karte vorn im Buch offenbart – schafft es Amélie Wen Zhao mit ihrem verträumten, atmosphärischen Schreibstil (die Übersetzerin hat hier exzellente Arbeit geleistet) problemlos, die LeserInnen ins kalte Kyrillien zu entführen. Die Ortschaften, die Kampfszenen, die arbeitenden Affiniten, all das führt sie einem lebhaft vor Augen, sodass es von Beginn an leicht fällt, sich in der Geschichte zu verlieren…

Wären da nicht die Probleme mit dem Charakteraufbau. Denn während wir Ana und Ramson durch Rückblenden recht gut einzuschätzen lernen – wobei mir Ramsons schnelles Verfallen für Ana angesichts seiner egoistischen Einführung ein absolutes Rätsel ist –, tauchen immer wieder neue Charaktere auf, zu denen eine Verbindung aufzubauen die Zeit und der Inhalt fehlt – so sind sie auch schon wieder fort. Wie mit ihren Verbündeten verhält es sich mit den Feinden unserer ProtagonistInnen, denen es deutlich an Plastizität fehlt – wo sind die inneren Konflikte, wo die Mehrdimensionalität? AntagonistInnen werden doch bekanntlich erst dann wirklich spannend, wenn sie nicht einfach nur „böse“ sind. Hier schienen sie wie blankes Mittel zum Zweck, in Verbindung mit abstrusen Wendungen („Wie kam der jetzt bitte so schnell dahin?!“) schon fast hostis ex machina-artig (können wir diese Begrifflichkeit bitte offiziell einführen?). Auch wenn dieses Vorgehen für die ein oder andere Überraschung sorgte, ließ sie mich im Finale wutschnaubend und Kopf schüttelnd in meinem Sessel zurück. Zu viel der Effekthascherei, zu rasant der andauernde Anstieg des Erzähltempos und die damit einhergehenden Lücken für mich.

Aber: Viele LeserInnen aus der Zielgruppe werden sich an all dem nicht stören und trotzdem ungeduldig auf den nächsten Band warten. Ich gehöre nicht dazu, werde dieses Debut aber dennoch der/dem ein oder anderen Bekannten aus der Romantasyszene empfehlen, weil es hier offenbar noch nicht so recht auf dem Schirm ist…

Vielen Dank an den Heyne Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!

Wer Lust hat, kann auch gerne mal in die neuen Folgen vom Bibliotop reinhören, heute ist der zweite Teil meines Gesprächs mit Franziska Hauser online gegangen, in  dem wir uns mit Unterstützung einiger anderer AutorInnen damit auseinandersetzen, was Kritik für sie bedeutet. Denn ob gerechtfertigt, konstruktiv oder grob beleidigend: Bücher „rezensieren“ kann heute jeder. SchriftstellerInnen sehen sich mit einer schieren Übermacht an Meinungen konfrontiert, doch trotz der Möglichkeiten des Internets kommt ein Dialog selten zustande. Schade, sagen Franziska und ihre KollegInnen, denn sie hätten einiges zu erwidern. Heute seid ihr es, die zuhören sollen, ihr, die LeserInnen da draußen, die KritikerInnen auf den Vorableseplattformen, auf Amazon, Blogs oder im Feuilleton. Denn wie es scheint, haben wir alle noch einiges im Umgang mit Kritik zu lernen…

Amélie Wen Zhao | Herz aus Blut und Asche | Aus dem Amerikanischen von Ute Brammertz | Heyne | 464 Seiten | 14,99 € | ISBN 978-3-453-32087-1

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