Das Haus der tausend Welten

Niemand weiß, was hinter dem verschlossenen Tor im obersten Stockwerk des Hauses zur Aufgehenden Sonne lauert. Gold, heißt es. Juwelen. Von unermesslichen Reichtümern und noch mehr berichten die unzähligen Balladen, die auf das berüchtigte Gasthaus in Atail, der Stadt am Berg, dem Sündenpfuhl voller Verlockungen und Abgründe gesungen werden. Doch eines Tages wird es sich öffnen und nur der erste wird siegen. So wagen sich drei Gruppen in das Haus der tausend Räume, nichtsahnend, dass weit mehr auf dem Spiel steht als ihr Leben. Denn welches Unheil, welche Gefahren sind es wert, seine tiefsten Wünsche erfüllt zu sehen..? 

»Das Haus der Aufgehenden Sonne hatte tausend Arten, jemanden zu töten. Für Roru jedoch hatte es sich anscheinend etwas geradezu Langweiliges ausgesucht. Es war nur ein Kratzer gewesen, kaum der Rede wert, beiläufig zugefügt, als ein weniger geschickter Mann seinen Kopf verloren hatte.« S. 7

Was für ein starker und vielversprechender erster Satz. Und was für eine aufregende Prämisse: Drei rivalisierende Gruppen kämpfen sich durch ein feindlich gesinntes, magisches Haus, ohne so recht zu wissen, was sie schlussendlich erwartet. Doch am Ende ist es leider nur genau das: vielversprechend.

Nachdem der spannungsgeladene Prolog uns einen Ausblick auf die Schrecken des Hauses liefert, spielt es in den folgenden 200 Seiten und damit dem ersten Drittel erst einmal keine Rolle. Vielmehr verfolgen wir den Weg vierer Charaktere und erfahren, wie sie letztendlich freiwillig oder unfreiwillig in diesem Abenteuer und damit einer der drei rivalisierenden Gruppen landen: Ein unschlüssiger Dieb, der Gegenstände verschwinden lassen kann; eine sagenumwobene Kriegerin, deren bessere Tage hinter ihr liegen; ein untalentierter Magisterlehrling auf der Flucht und schließlich eine geheimnisvolle Bardin aus der Wüste, die scheinbar zufällig in all das hineingezogen wird… und ein jeder von ihnen bringt mal mehr, mal weniger Nebencharaktere, in einem Fall sogar eine ganze Bande und damit eine Reihe an Namen mit sich. Vier Perspektiven, viele Nebencharaktere, eine komplett neue Welt, in die man nicht so recht eingeführt, stattdessen durch die Perspektiven unsanft hineingeschmissen wird – und das alles in einem knapp 600-seitigen Einzelband. Ihr ahnt es, dieses Buch kann schnell überfordernd wirken.

Der Charakterüberfluss dürfte leidenschaftlichen FantasyleserInnen bekannt sein und tatsächlich legt sich die anfängliche Verwirrtheit recht schnell, wenngleich einige auch gerne hätten weggelassen werden können. Ein viel größeres Problem als die Anzahl der Charaktere, das jedoch zum Teil wohl eben daraus resultiert, ist das bis zum Ende anhaltende fehlende Verbundenheitsgefühl mit ihnen. Es ging mir am Arsch vorbei, wer stirbt, wer lebt, wer triumphiert und wer scheitert, weil man einfach zu wenig über ihre Hintergründe, ihren Antrieb… sie als Menschen erfährt. Und das ist ein Problem. Ein Problem nicht nur im Genre Fantasy, das oft genug von seinen Charakteren getragen wird, sondern erst recht, wenn Welt und Story nicht genug zu begeistern wissen. Offensichtlich hat hier einer dieser beiden Punkte zumindest halbwegs gestimmt, sonst hätte ich das Buch nicht ausgelesen. Sagen wir es mal so: die Welt war es nicht.

Das liegt natürlich zum einen daran, dass der Großteil des Buches in einem »geschlossenen Raum« spielt, wir also nur punktuell etwas von ihr mitbekommen, vor allem jedoch daran, dass sie spürbar nicht konsequent ausgearbeitet und vor allem nicht erklärt wurde. Es wird mit Völkern, Fantasiewesen und Magie um sich geworfen, doch wirklich verstehen oder gar in ersteren beiden Fällen visuell vorstellen konnte ich sie mir angesichts der marginalen Beschreibungen nicht (wie im übrigen später auch oft die Umgebung im Haus). Tatsächlich befürchtete ich schon, an einen Spin-Off Band geraten zu sein, derart selbstverständlich wird mit unbekannten Begrifflichkeiten hantiert, derart oberflächlich bleibt die Weltenerklärung, was – korrigiert mich, wenn ich falsch liege – offenbar keineswegs der Fall ist. All das, diese lose hingeworfenen Städtenamen, die kulturellen Gepflogenheiten (etwa das obligatorische rassistische Verhalten einem Volk gegenüber, natürlich ohne Erklärung), das Magiesystem (von einem System zu reden ist hier vielleicht schon zu viel gesagt, dabei gab es durchaus interessante Ansätze wie die Runenmagie) traten derart willkürlich konstruiert und ohne Boden auf, als würde eine lose Folie über die Welt gelegt, die jederzeit wegfliegen könnte. Da hätte selbst eine Karte nicht geholfen. Was mich bei der Stange gehalten hat waren also nicht die Charaktere, nicht die Welt, sondern die Handlung.

Was soll ich sagen, ich wollte ganz einfach wissen was in diesem Haus noch lauert. Zumindest anfangs, denn bald wiederholten sich die Gefahren oder wussten nicht so recht zu begeistern, hier hatte ich mir so viel mehr erhofft. Als dann dieser Punkt auch noch wegfiel, war es also nur noch die Auflösung, welche mich fortfahren ließ und dann auch tatsächlich für einiges entschädigte. Denn so originell und erfrischend wie das Finale daherkommt, hätte ich mir das ganze Buch gewünscht. Und auch die liebevolle Verabschiedung der Charaktere hätte großes Potenzial zu positivem Herzschmerz geboten, wenn man sie, die an sich interessant angelegt sind, denn richtig kennen- und lieben gelernt hätte. Schade.

Denn gerade im Punkt Charakterzeichnung wurde das Autorengespann Tom und Stephan Orgel, das sich hinter dem Pseudonym T. S. Orgel verbirgt und durch »Orks vs. Zwerge« und »Die Blausteinkriege« Bekanntheit erlangte, in der Vergangenheit gelobt. Es ist also anzunehmen, dass sie mehr als undurchsichtig einseitige AntagonistInnen und absolut unglaubwürdige… nennen wir es… Zuneigungsentwicklungen… zustande bringen.

Doch lasst mich eines klarstellen: »Das Haus der tausend Welten« wusste mich TROTZ besagter Kritikpunkte (und recht häufiger Rechtschreibfehler: mal fehlte hier ein Buchstabe, da ein Wort…) mit seiner Idee (der Charakteridee, der Weltenidee, der Handlungsidee) und den versteckten Popkulturverweisen zu unterhalten. Es ist ein Buch, das man gefahrlos lesen kann ohne zu sehr enttäuscht zu werden, jedoch nie für sehr gut oder besonders befinden wird. Gewissermaßen ein kann-man-mal-machen-Titel des Fantasygenres, dem weitere Überarbeitungen gut getan hätten. Denn die Autoren können schreiben. Dass sie ihr Handwerk verstehen, das spürt man schon im ersten Kapitel. Insofern sage ich eher nein zum »Haus der tausend Welten«, aber vielleicht zu T. S. Orgel!

T. S. Orgel | Das Haus der tausend Welten | Heyne | 592 Seiten | 14,99 € | ISBN 978-3-453-31979-0

4 Comments

  1. fraggle

    Eben diese ersten 200 Seiten sind es, die dazu geführt haben, dass ich das Buch nach etwa dieser Seitenzahl vorerst unterbrochen habe, vielleicht auch für eine sehr lange Zeit. Ich wurde mit den Charakteren nicht warm, die eigentliche Geschichte geriet ins Hintertreffen – so richtig gefunden habe ich sie eigentlich nie – und insgesamt hat es den Anschein, als wären die etwa 600 Seiten einfach nicht ausreichend gewesen, um das, was die Orgel-Brüder mir erzählen wollten, auch wirklich angemessen zu erzählen. Vielleicht hätte man eine Dilogie daraus machen sollen, dann hätte man in einem hypothetischen ersten Band auch mehr Zeit gehabt, die Welt und ihre Bewohner zu erklären. Wenn ich mir „Die Blaustein-Kriege“ auf einen Band zusammengedampft vorstelle – das hätte auch nicht funktioniert.

    1. Katharina Hoppe

      Ich kann deine Frustration verstehen – ich selbst war wegen des allein auf das Haus konzentrierten Klappentexts und der zunächst unzusammenhängenden Perspektivwechsel überaus ungeduldig. Wann fängt die Geschichte denn endlich an?! Reicht der Rest überhaupt aus, um sie angemessen zu erzählen? Im Nachhinein sind diese ersten 200 Seiten wegen der Auflösung gar nicht mal unwichtig, wobei ich persönlich sie nach anfänglicher Enttäuschung und bewusstem „darauf einlassen“ recht gern mochte. Aber wie du schon sagst: Es hätte mindestens einen weiteren Band gebraucht, um die Geschichte und ihre Charaktere richtig aufzubauen, da haben auch diese Kapitel nichts genützt. Es wirkt alles seltsam zusammengekürzt…

  2. Chris | schriftweise

    Es ist immer wieder schön, wenn du eine Rezension veröffentlichst. Klare Ansagen, was dir gefallen hat und was nicht und meist auch gut nachvollziehbar, selbst wenn man das Buch nicht gelesen hat.

    Die Idee an sich – die mich spontan an „Cube“ denken ließ, nur eben als Fantasy – ist wirklich interessant, aber nach deinem Urteil und auch fraggles Kommentar, habe ich nicht viel Lust, mich durch das Buch zu quälen.

    1. Katharina Hoppe

      Ach wie schön, dein Lob geht runter wie Öl! 😉 Cube habe ich nie gesehen, aber das wird definitiv nachgeholt. Ja, ich denke, es gibt definitiv bessere Titel, denen man sich widmen kann – immerhin schafft selbst ein sehr ambitionierter Mensch vielleicht 5000 Bücher in seinem Leben… die wollen weise gewählt ein!

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