»Die meisten Menschen sind gegen Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe oder sexueller Orientierung. Diskriminierung ist verboten. Dass aber bei den Arten von Lebewesen Unterschiede gemacht werden, halten nur wenige für diskriminierend.« S. 23
Wenn es nach unserer Gesellschaft geht, dann haben Tiere nichts zu wollen. Vom Gesetz als lebensunwerte Gegenstände abgestempelt, werden jährlich über 200 Millionen sogenannte Nutztiere allein in Deutschland für Tierversuche und tierische Produkte missbraucht, davon 60 Millionen für unsere heißgeliebte Frühstückswurst ermordet, bis zur Unkenntlichkeit zerteilt oder gleich geschreddert und als »Fleisch« verkauft. Bloß keine Assoziationen zum knuffigen Schweinchen erzeugen. Und wenn man nun dem Tier zuliebe Fleisch der Premiumstufe 4 kauft, dann hatte das Schwein doch auch nicht nur 0,75 Quadratmeter Platz zum leben, sondern sogar 1,5! Ach, und warum die Haut verschwenden? Denken wir uns doch ein nettes Wort dafür aus und hängen sie uns um die Schultern (Tatsächlich ist die Lederproduktion allein natürlich Grund genug, ein Tier von seinem armseligen Leben zu befreien). Und dann gibt es natürlich noch die sogenannten Haustiere, die allesamt total glücklich über ihre weggezüchteten Schnauzen und Rippen sind, sieht ja auch viel stylischer aus, und sich ohnehin allein mit IHREM Menschen in den 22qm-Stadtwohnungen am wohlsten fühlen, wo sie sogar zwei bis dreimal pro Tag an die frische Luft dürfen. Einige hat es vielleicht besonders gut getroffen, denn die residieren auf dem Land, doch wehe, die Katze entscheidet sich, lieber im Nachbarhaus ihre Zelte aufzuschlagen, wer hat hier was von freiem Willen gesagt?!
Wer nun glaubt, in Eva Meijers »Was Tiere wirklich wollen« eine Fortsetzung meiner zynischen Einleitung zu finden, der täuscht sich. Denn bei dem Buch, das ich euch heute vorstellen möchte, (das ich euch genau genommen schon vor ein paar Wochen hatte zeigen wollen, hätte ich nicht ungeschickterweise den Schutzumschlag verlegt…) handelt es sich um einen philosophischen Essay, ergo einen wissenschaftlichen Text mit Endnoten und Quellennachweisen, der sich sachlich mit der Frage um die Stellung der Tiere in der menschlichen Gesellschaft auseinandersetzt. Und genau hier beginnt auch schon das erste und grundlegende Problem, das bereits Derrida erkannte: Die plumpe Unterscheidung zwischen »Mensch« und »Tier«, die einen mitnichten neutralen Gegensatz erzeugt, da der Mensch zum Normalzustand erklärt und alles andersartige undifferenziert zusammengefasst wird…
»Auch wenn sie selbst das Wort ›politisch‹ nicht verstehen oder sich nichts unter dem abstrakten Begriff vorstellen können […] erfahren sie die Folgen von Machtverhältnissen und handeln im Rahmen dieser Beziehungen. Sie haben es mit Ausbeutung und Unterdrückung zu tun, und zwar durch menschliches Handeln und das Handeln anderer Tiere.« S. 71
Nicht nur stellt sich der Mensch an die Spitze, ja, erschafft überhaupt erst eine Hierarchie, sondern schert alle anderen der 5 bis 50 Millionen Tierarten und ihre Bedürfnisse über einen Kamm, anstatt sich als Teil von ihnen zu verstehen. Dabei gleicht unsere DNA zu 98,7% der von Schimpansen und sogar zu 50% der von Blumenkohl. Die promovierte Philosophin appelliert, dass wir einsehen müssen, nur eine unter vielen Tierarten zu sein, dass der Mensch nicht wichtiger als andere, ja, »es kein Gebrechen ist, nicht sprechen zu können, sondern ein Anderssein. […] Menschen haben nicht die Allmacht über die Sprache, auch wenn sie es selbst gerne glauben« S. 49.
Meijer, die ihre Doktorarbeit zum Thema »Sprachen der Tiere« schrieb, nennt allerlei Beispiele, die beweisen, dass Tiere durchaus im Stande sind, untereinander und mit dem Menschen zu kommunizieren. Indem Orang Utans ihre Zooausbrüche planen, Steine sammeln und Besen halten, damit ihre Artgenossen daran hochklettern können; gefangene Kraken durch den Abfluss zurück ins Meer flüchten; Kamele sich des Munitionstransports verweigern; zur Spionage dressierte Delfine desertieren; Gänse ihr Revier verteidigen und Raben einander über den Zweck von menschlichen Experimenten aufklären und sie dadurch durchkreuzen; ja, indem Tiere solche Dinge tun, verdeutlichen sie uns ihren Willen. Doch anstatt diesen Willen als gleichwertig, ja, als individuellen Wunsch nach Leben, denn immerhin haben auch sie nur EIN Leben, anzuerkennen, denken sich die Menschen ausgeklügeltere Sicherheitsmaßnahmen aus, entwerfen höhere Zäune, längere Schlagstöcke und perversere Wohlfühlsiegel für FleischliebhaberInnen…
»Tiere sind in der Lage, ihr Leben in verschiedenster Weise zu gestalten, und ihre individuellen Vorlieben können sich dabei erheblich voneinander unterscheiden. Sie sind keine austauschbaren Abziehbilder ihrer Art, sondern nicht anders als Menschen einzigartige Individuen mit einer eigenen Lebensanschauung. […] Das wird sich uns Menschen nicht erschließen, wenn wir lediglich für sie bestimmen, welche Rechte ihnen zustehen, und es dabei belassen. Wir müssen vielmehr die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sie selbst Entscheidungen treffen können, damit sie größere Möglichkeiten haben, sich zu äußern, und sich besser entwickeln zu können« S. 104
Was sich hier vielleicht abstrakt anhört, untermauert Meijer mit einleuchtenden Beispielen. Sie stellt verschiedene Ansätze zur Frage um politisches Handeln von Tieren, Tierethik, Ideen zum Zusammenleben, zu Staatsbürgerschaft und Habitatsrechten vor, bezieht immer wieder gegenteilige Argumentationen mit ein, widerlegt sie sogleich oder lässt sie nebeneinander bestehen. So bedeut eine Zukunft ohne Ausbeutung von Tieren keineswegs zwei voneinander getrennte Lebensareale. Das würde erneut eine Art der Bevormundung bedeuten, bei der mögliche Wünsche und Bedürfnisse der Tiere nicht beachtet würden. Zumal der Mensch über Jahrhunderte Arten domestizierte, die ohne ihn in die Wildbahn entlassen mitunter nicht lebensfähig wären und nun die Verantwortung dafür getragen werden muss…
»Was Tiere wirklich wollen« ist eine kurzweilige, jedoch angesichts des wissenschaftlichen Schreibstils keineswegs mit einfacher Nachmittagslektüre zu verwechselnde Auseinandersetzung mit der Frage, wie und warum die Menschen ihre Beziehungen zu Tieren neu gestalten könnten und sollten. Wie schon an der Länge des Textes erkennbar (etwa 135 Seiten plus Endnoten und Quellnachweise), stellt der Essay allerdings keine eigene Idee in den Mittelpunkt, sondern entwirft einen vor allem theoretisch gelagerten Überblick über verschiedene Ansätze zum Thema und kann damit als Einführung in die Tierpolitik verstanden werden. Einzig als störend empfand ich die hin und wieder auftretenden Redundanzen, die aufgrund der Kürze des Textes nicht notwendig gewesen wären sowie mitunter zu abstrakt gehaltene Passagen und die Tatsache, dass Meijer (oder/und die Übersetzerin/der Verlag) sich gegen das generische Femininum entschied, obwohl es aufgrund mehrmaligen Einbezugs von Parallelen zwischen der Misshandlung von Tieren und der Unterdrückung der Frau Sinn gemacht und die Argumentation in meinen Augen entscheidend gestützt hätte… Insofern kann ich Interessierten durchaus die Lektüre empfehlen, die zweifellos für jeden neue Erkenntnisse bereithält (etwa eine bemerkenswerte Fußnote aus dem Jahr 1789).
Wusstet ihr, dass Fledermäuse gern tratschen, Lachse in Zuchtfarmen an Depressionen sterben, Präriehunde einander das Aussehen und die Ausrüstung von Feinden beschreiben können und den Sprachen von Bienen, Walen, Tintenfischen und verschiedenen Vögeln eine Grammatik innewohnt? Ich nicht. Und darum werde ich mir wohl Eva Meijers Promotion sowie einige ihrer Lektüreempfehlungen genauer ansehen…
»Unsere Perspektive ist nicht die einer Gottheit, die alles erfasst und alles am besten weiß, sondern eine von vielen Perspektiven. Wenn wir bessere Beziehungen zu anderen Lebewesen anstreben, schließt das auch ein, dass wir Schritt für Schritt unsere Macht über sie aufgeben und uns für das öffnen müssen, was sie in uns sehen.« S. 118
Vielen Dank an den btb Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!
Eva Meijer | Was Tiere wirklich wollen | Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers | btb Verlag | 160 Seiten | 20,00 € | ISBN: 978-3-442-75812-8