Lous Leben ist ein einziges Chaos. Nachdem ihr Freund ihr noch dazu geraten hatte, für Ihre Erfinderleidenschaft das Jura-Studium abzubrechen, verlässt er sie von heute auf morgen und klaut auch noch das Karmagotchi, ihren vielversprechendsten Geistesblitz. Nun gilt es nicht nur, mit Hilfe ihrer Mitbewohnerinnen Katie und Audrey den Prototypen zurück zu stehlen, sondern auch, einen neuen Untermieter für die WG zu finden, ohne dass die Vermieterin etwas merkt. Das gestaltet sich jedoch schwieriger als gedacht, da ihr Nachbar Niklas offenbar ein Problem mit Lou hat und ihr Vorhaben sabotiert, wo er nur kann…
Wie ihr diesem kleinen Beschreibungstext entnehmen könnt, widme ich mich heute einer Seltenheit auf diesem Blog: Der leichten Lektüre. Und an dieser Stelle möchte ich mal, wie man so schön sagt, eine Lanze für locker-flockige »Frauen«-Geschichten (eine Frechheit, dass das Wort Frauenliteratur heute überhaupt noch existiert) brechen… Historische Romane, New Adult, Erotik, »was halt mit Liebe zu tun hat«, all diese Bücher werden gern belächelt und als weniger wert abgestempelt, weil sie keine großen Menschheitsprobleme thematisieren, keine abgefuckten ProtagonistInnen in den Ring schicken, die sich langatmig durch den Strudel der menschlichen Psyche wühlen und am Ende in kryptisch-pseudo-bedeutungsschwangeren Umschreibungen resignieren. Nein, die so genannte Frauenliteratur ist nichts von alldem. Sie ist weitgehend vorhersehbar, oft austauschbar und doch eines der großen Zugpferde der Literaturbranche. Ja, liebe KritikerInnen, das vergesst ihr gern. Mag ja sein, dass die »hohe«, vor Genialität triefende Literatur das Zeug hat, die Welt zu verändern, doch was nützt das, wenn sie nicht gelesen wird? Angesichts dessen hochnäsig davon zu reden, Frauenliteratur habe nicht mehr als eine »Berechtigung« zu existieren, erscheint mir doch als etwas verzerrte Wahrnehmung der Realität.
Was bei all den Angriffen gegen die »leichte« Lektüre ebenfalls gekonnt ignoriert wird: Sie erhebt gar keinen Anspruch darauf, mehr zu sein. Sie ist sich vollkommen ihrer selbst bewusst und will einfach nur unterhalten, aus dem Alltag entführen, nicht viel denken und stattdessen mitfiebern lassen – ganz einfach eine Wohlfühllektüre sein. Diese Angriffe sind also vollkommen unbegründet und einseitig und können folglich nichts anderes sein als ein Zeugnis gekränkter Eitelkeit. Wenn du nun, liebe KritikerIn, liebe AutorIn meinst, es besser zu können, dann beweise es! Nur, weil die Geschichten je nach Genre ähnlich sind, heißt das nicht, dass sie jeder schreiben kann. Auch hier steckt handwerkliches Können dahinter.
Dies sei meiner kleinen Buchvorstellung vorangestellt, denn, wie viele von euch sicherlich nachvollziehen können, manchmal ist mir einfach nach einem Wohlfühlbuch. Mich brennen zu viele ernste Bücher bzw. Sachbücher hintereinander aus (letztere lese ich wegen des Podcasts in letzter Zeit gesteigert) und steuern mich direkt auf eine Leeflaute zu. Die wirksamste Gegenwehr besteht in meinem Fall erprobtermaßen in Fantasy- und Liebesromanen. »Das Karmagotchi« passt eher in letztere Kategorie, wobei die Liebesgeschichte tatsächlich eher in den Hintergrund rückt und den turbulenten Ereignissen rund um Lou und ihre Mitbewohnerinnen Raum gibt.
»Als Erstes frage ich ihn nach dem Geräusch seiner Schritte.
›In unserer WG legen wir sehr viel Wert auf einen sanften Gang‹, erkläre ich und schreite im Wohnzimmer auf und ab. ›So in der Art, verstehst du?‹
›W-wie bitte?‹«
Die Mädels sind einfach nur herrlich: Die exzentrische Schauspielstudentin Audrey, die eigentlich Beate heißt, sich aber für Holly Golightly aus »Frühstück bei Tiffany« hält und deshalb Samthandschuhe trägt, mit einem Zigarettenhalter raucht und Gefängnisinsassen besucht; Katie, Partymaus und Mutter eines vierjährigen Jungen, dessen Vater sie vor ihren Mitbewohnerinnen geheim hält; und Louisa, Erfinderin, Studienabbrecherin, Aushilfe in einem Secondhand-Laden und nicht zu vergessen zukünftige Selfmade-Milliardärin, denn jedes Unternehmen braucht seinen Gründungs-Mythos – von der Kleidersortiererin zur CEO. Die drei rutschen von einer brisanten Situation in die nächste, wobei diese neuen, immer bizarrer anmutenden Geschehnisse oft unvorhersehbar aus dem Nichts auftauchen und so die Geschichte immer weiter vorantreiben. Durch diese ständigen Wendepunkte erinnerte das Buch in seiner beinahe episodischen Form an eine Sitcom. Diesen Effekt verstärkten die vielen pointierten Dialoge und die zunehmende Absurdität der Ereignisse, nicht zu vergessen die Eigentümlichkeit so mancher Nebencharaktere (Ich verweise da etwa auf Lous verrückte Chefin vom Secondhand-Laden, die vor nichts zurückschreckt, um an die Spitze der Mainzer Secondhand-Szene zu gelangen…).
Die Lektüre des »Karmagotchi« verging also wie im Flug und ließ mich mehr als einmal beherzt auflachen. Dennoch gab es ein paar Punkte, die ich mir anders bzw. ausgebauter gewünscht hätte: Zunächst einmal Katie, Lous Mitbewohnerin, deren Charakter mir in seiner Reduzierung auf zu wenige Eigenschaften bis zuletzt sehr schwammig erschien, zumal er neben der Naturgewalt Audrey gnadenlos unterging.
Auch die Liebesgeschichte tröpfelte mir angesichts der emotionalen Zuspitzung zum Ende hin zu lange zu sehr im Hintergrund herum. Lous (plötzliche) Gefühlsentwicklung wirkte hier auf mich in ihrer Intensität deplatziert und, wenn auch nicht vollkommen unglaubwürdig, doch etwas überhastet. Insofern hätte ich mir in diesem Zusammenhang mehr tiefergehende Aufeinandertreffen der beiden gewünscht. Zuletzt sei auf (um nicht zu spoilern) gewisse Verhaltensweisen und Diskussionen unserer drei Mitbewohnerinnen im letzten Drittel der Geschichte hingewiesen, wo durch die mangelnde Vorbereitung der LeserInnen auf bestimmte Wendepunkte der Charakter der Figuren und ihre Handlungen mitunter gefühlt nicht so recht zusammenpassen wollten.
Dennoch ist »Das Karmagotchi« definitiv eine Leseempfehlung. Die Geschichte ist kurzweilig, herzlich, lustig, unvorhersehbar und herrlich absurd. Wer einen E-Reader zur Hand hat und sich von meiner Rezension angesprochen fühlt, kann ohne Furcht die 3,99 € investieren und ein Teil dieses quirligen Durcheinanders werden…
Lea Melcher | Das Karmagotchi | CORA Verlag | Preis: 3,99€ | ISBN: 9783745750744
Sehr schön geschrieben. Klingt tatsächlich wie etwas Nettes für zwischendurch. Ich bin ja nun auch niemand, der sich mit seiner Vorliebe für „gehobene Literatur“ brüsten kann. Ich mag eben Bücher. Punkt. Da muss auch mal etwas Seichtes her.
Ich nehme mein Leben nicht zu 100% ernst, da werde ich bei meinen Hobbies nicht damit anfangen xD
Auf jeden Fall danke für den Beitrag, kommt auf die Merkliste.
Wohl gesprochen! Ich glaube, diese ganze „gehobene Literatur“-Debatte hat auch viel mit Außenwirkung zu tun. Gefüllte Bücherregale sind ein Zeichen für Bildung und das was darin steht, entscheidet dann scheinbar (?) einmal mehr über die Wahrnehmung durch andere… Was natürlich absoluter Quatsch ist. Wenn man sich selbst durch seinen Lesegeschmack definiert bzw. versucht zu definieren ist wohl etwas schief gelaufen.