Metzgerei Kennedy

»Und wisset, meine Lieben, dass nur in unserem Land die Schneeflocken identisch sind mit denen, die in Indien fallen!« S. 132

Nachdem es vergangenen Monat wegen eines Umzugs, meiner Abschlussarbeit, des neuen Podcasts, drei abgebrochenen Büchern und einer hartnäckigen Lesemüdigkeit etwas still auf diesem Blog wurde, erreichte mich vor wenigen Tagen ein Rezensionsexemplar, das mich aus der Reserve lockte: »Metzgerei Kennedy«. Und der Name ist Programm. Denn so skurril, wie sich diese Wortkombination anhört, liest sich auch die Geschichte – mit einem Augenzwinkern.

Es geht um die rumänische Kleinstadt Untermond, genauer, um deren Bewohner und ein Wochenende, an dem nicht nur der Große Petrec – Prophet, Guru, C-Promi – mit seinen Reden im Nebel im städtischen Amphitheater auftreten wird, sondern auch eine Sonnenfinsternis und die Eröffnung der Metzgerei Kennedy anstehen. Dass bei all diesen Ereignissen nicht alles laufen wird, wie geplant, werden die Einwohner, die wir dieser Tage begleiten, noch früh genug erfahren…

Da wäre etwa Flavius Kasian, der von tanzenden Messern und Rinderkeulen in seinem Vorgarten träumt und unruhig auf die Eröffnung seiner Metzgerei hinfiebert – wäre da nur nicht der verhängnisvolle Name der Straße: Friedhofsgasse. Das ist nun wirklich,  selbst für seinen Geschmack, zu markaber. Und nur einer kann diesen Makel beseitigen: Der Bürgermeister. Auch liebevoll Pfeifer genannt, weil er, nun ja…pfeift. Immer und überall. Nicht mit einer Trillerpfeife, sondern einfach so. Beim Sprechen, beim Schlafen, ja, selbst beim bloßen Atmen. Doch ob er sich dazu erweichen lässt, einen Straßennamen zu ändern…? An Flavius’ Seite stehen der Vegetarier Noni (sein Metzgergehilfe), der Künstler Avram und Sami Goldenberg, der letzte Jude Untermonds, der angesichts der nahenden Sonnenfinsternis nebenbei ein zweifelhaftes Business zur Herstellung von getönten Brillen gestartet hat…

»Manchmal, morgens im Bett, nachdem sie die Augen geöffnet hatte, rieselte ihr eine Frage von den Wimpern, leicht wie eine Schneeflocke, die schnell zu einer salzlosen Träne schmolz: ›Warum nur bin ich immer noch allein?‹« S. 50f

Diesen Gestalten schließt sich eine Reihe weiterer Charaktere an, deren Leben wir verfolgen, etwa Otilia, eine bloggende Ärztin, die ihre PatientInnen auch mal warten lässt, wenn sie spontan die Muse küsst. Oder Rosalia und Roberta, zwei alte Schachteln, die mit großem Eifer ihre eigene Beerdigung planen und die Idee zu einer Generalprobe aushecken… Und dann gibt es noch Doris und Ovi, einander die Affäre, wobei die dramatischen, schwülstigen und anzüglichen Reden des hitzköpfigen Chefredakteurs bald nicht nur Doris langweilen (»Dein Mund, deine Zähne, deine Zunge erregen mich… […] Die Schönheit der Welt ist in dir zusammengekommen…« S. 78). Als wäre es mit diesem farbenfrohen Mosaik an Figuren nicht genug, lernen wir noch zahlreiche weitere, mal triste, mal ulkige Gestalten kennen, die allesamt, wenn auch zum Teil nur kurz, ihre Funktion in der Geschichte finden.

»Die Bewohner von Untermond hatten jedoch eines gemeinsam: ihren gesunden Humor. Eine gesunde Art, das Leben in all seinen Nuancen zu betrachten, sowohl die finsteren als auch die strahlenden. Und die parfümierten wie die vollgekackten.
›Wie nennen wir uns eigentlich, die Bewohner von Untermond?‹
›Was meinst du?‹
›Na, die aus Klausenburg sind die Klausenburger, die aus Bukarest die Bukarester, und wir? Die Mondler?‹
›Mich würde das nicht stören. Mondsüchtige sind ganz besondere Menschen. Sie stehen mitten in der Nacht auf und machen nützliche Dinge. Spülen zum Beispiel das Geschirr« S. 123

Ja, es gibt viele Charaktere. Aber es gibt eben auch keine ProtagonistIn im klassischen Sinne. Wie es auch keine Geschichte im klassischen Sinne gibt. Anstatt einer großen Handlung offeriert Radu Țuculescu viele kleine Handlungen, die einander zwar mitunter streifen, sich aber auch wieder trennen und ihren eigenen Weg gehen, wie die Menschen, in deren Leben wir mittels des auktorialen Erzählers eintauchen. Ihre Verbindungspunkte sind der Schauplatz Untermond und die anstehenden Veranstaltungen. Eine andere Rahmenhandlung gibt es nicht, was zunächst ungewohnt anmutet. Und auch meine Erwartung, dass am Ende, beim furiosen Finale, dem Vorfall, der immer mal wieder in Nebensätzen angeteast wird, alle Figuren mitwirken und ihre Rolle spielen würden, auf dass das scheinbar belanglose Vorangegangene einen Sinn erhalten würde, wurde von Țuculescu gnadenlos enttäuscht.

Bewusst enttäuscht, möchte ich sagen, da der Schluss, auf den all die Zeit hingesteuert wurde, zwar durchaus nicht still und heimlich ausklingt, aber ebenso wenig das hält, was an Erwartungen aufgebaut wurde. Dieses Prinzip des schleichenden Spannungsaufbaus und plötzlichen Abfalls durch eine Kollision von Erwartung und Auflösung zieht sich durch den gesamten Roman und eröffnet eine neue Ironieebene, die sich nicht mehr nur auf die Charaktere, sondern auch uns als LeserInnen erstreckt. Ich unterstelle: Der Erzähler enttäuscht uns mit Absicht. Er zeigt uns und unseren Lesegewohnheiten den Mittelfinger und demonstriert, »ich schaue nicht nur auf meine Figuren herab, sondern auch auf euch. Das hier ist, was es ist, mehr will es nicht sein. Nehmt das alles nicht zu ernst«. Zumindest ist es das, was die Lektüre bei mir auslöste.

»Cezaras Spiel ging unter die Haut. Es entstand eine Atmosphäre voller Emotion und Leidenschaft, prosaisch begleitet von dem Zischen und Brutzeln hunderter Mücken, die auf den Gittern über der Bühne verglühten.« S. 128

Țuculescus wunderbar bildhafter Schreibstil ist in seiner Mischung aus hingebungsvoller, überzeichneter Ironie und Poesie und mit seinen Vergleichen, Pointen und Dialogen zum Wegschmeißen einfach nur herrlich. Das ganze Buch fühlte sich an wie eine Spielwiese, auf der der Autor alles ablud, was ihn in seiner Karriere an Geistesblitzen zu verrückten Macken und Situationen bisher ereilt hat. Denn jede Figur, sei sie auch noch so klein und allein in einem Nebensatz erwähnt, wird liebevoll mit Eigenarten, Hintergrund, etc. ausgestattet und mit Leben befüllt. Zweifellos hätten weniger Charaktere mehr Raum für Tiefe gegeben, aber die will Țuculescu gar nicht. Es geht um eine Momentaufnahme, um schrullige Figuren und ihre natürliche Umgebung.

»Metzgerei Kennedy« ist daher kein Buch mit einer packenden Geschichte; der übergreifende Spannungsbogen bleibt flach. Der Roman lebt allein vom genialen Schreibstil und seinen Charakteren, die einem trotz ihrer Überzahl und der kurzen Kennenlernphase irgendwie ans Herz wachsen und eine familiäre Atmosphäre versprühen. Angesichts dessen erschien mir schnell nebensächlich, dass Țuculescu manchmal zu ausschweifend-beschreibend wurde oder der Satz irritierte (Da die Kapitel nach Tagen eingeteilt sind, unterteilen Absätze die verschiedenen Perspektiven. Wenn nun Perspektiven genau auf der letzten Zeile einer Seite endeten und auf der anderen eine Neue begann, war das zunächst verwirrend. Eine klarere Unterteilung als bloße Absätze  wäre schöner gewesen.) »Metzgerei Kennedy« ist ein Buch, bei dessen Lektüre ich mich ganz einfach wohl fühlte. Es machte Spaß und war genau das, was ich in meiner aktuellen Lesestimmung gebraucht habe!

Besten Dank an den Mitteldeutschen Verlag für das Rezensionsexemplar!

Radu Țuculescu | Metzgerei Kennedy | Aus dem Rumänischen von Peter Groth | Mitteldeutscher Verlag | 240 Seiten | Preis:  18,00€  | ISBN: 978-3-96311-107-5

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