Löwenbaby

Als Christina Wessely bei der Wohnungsauflösung ihrer Großeltern ein altes Bild aus dem Safaripark Gänserndorf entdeckt, auf dem sie, ihr Vater und ein Löwenbaby vor einer tropischen Tapete abgelichtet wurden, ahnt sie (die sie zur Geschichte Zoologischer Gärten promoviert hatte), dass es eines Tages von Bedeutung sein wird. Das Foto wandert also im Laufe der Jahre mit, wird digitalisiert, wechselt von Laptop zu Laptop, bleibt im Hinterkopf, jedoch unangetastet. Zumindest bis sich jemand anderes meldet, der ein ganz ähnliches Bild besitzt…

Hier beginnt die kleine Entdeckungsreise, die uns die Autorin in »Löwenbaby« schildert. Sie nimmt uns an die Hand und erzählt in humorvollem, mitunter kritisch-ironischen Ton von ihren Nachforschungen, ohne je zu verwissenschaftlichen. Ja, tatsächlich wirkt der Text mitunter beinahe reportageartig, derart lebendig beschreibt sie etwa den Garten eines bald zu Wort kommenden Fotografen, der im Berliner Tierpark für lange Zeit den seit den 50er Jahren eingerichteten Fotostand betrieb.

»Man konnte sich mit Löwenbaby oder mit Pony ablichten lassen, Pony war billiger, aber wer will ein Pony, wenn er ein Löwenbaby auf dem Schoß haben kann?« S. 21

Doch Löwenbabys bleiben nicht immer Löwenbabys. Wohin mit den nutzlosen pubertierenden Raubkatzen? Und wo neue hernehmen? Derlei Fragen hatte sich niemand anderes als der Fotograf zu stellen.. Weiterhin stößt Wessely in ihren Recherchen auf die vergessene nazistische Belastung Bernhard Grzimeks, der seit 1945 Direktor des Frankfurter Zoos gewesen war und durch seine Medienaffinität bald zur wachsenden Popularität des Löwenbabyfotos beigetragen hatte. Doch allein darauf sei der Hype nicht zurückzuführen, vielmehr spielte der in den 50er Jahren schwelende Wunsch nach Verdrängung der NS-Vergangenheit wohl eine nicht unwesentliche Rolle  beim Erfolgszug des Löwenportraits. Denn vergessen, durch andere Assoziationen ersetzt werden sollten die allseits bekannten Bilder Hermann Görings und seiner unzähligen Haustierlöwen…

»[S]ie waren auch Beweis für die Besserung eines ganzen Volkes. Der dicke Nazi […] sollte verschwinden unter den Bergen neuer Bilder, guter Löwenbabybilder, die kleine und große deutsche Tierfreunde zeigen, die – moralisch endlich wieder vorbildlich – für Tier und Natur Verantwortung übernehmen, und das weltweit.« S. 53

Es sind eine Reihe interessanter Zusammenhänge, die die Autorin in dem schmalen Band offenlegt. Besonders beeindruckt hat mich jedoch der abschließende, kritische Blick in die Gegenwart mit dem sich der Kreis der Erzählung schließt: Nach der Pleite des Safariparks Gänserndorf hatte dort ein Gnadenhof eröffnet. Später kam ein neuer Erlebnispark hinzu, wo

»Kinder (‚bis maximal 40 Kilo!‘) […] auf den Ponys […] reiten [können], wobei die Betreiber darauf hinweisen, dass ‚wir unsere Tiere nicht ausbeuten wollen und Ihnen [sic!] auch Pausen gönnen‘. Die Besucher werden um Verständnis für die Einschränkung gebeten, das freilich sicherlich aufgebracht wird, die Tierliebe gebietet vollste Zustimmung zu einer 35-Stunden-Woche für die Pferdchen, von der man selbst nur träumen kann.« S. 64

Liebe Frau Wessely, ich danke Ihnen aus tiefstem Herzen für diese Worte und den Ton, den sie »Löwenbaby« angedeihen lassen. In Zeiten, in denen (populär)»wissenschaftliche« Bücher wie »Rabenschwarze Intelligenz« verlegt werden, die vor Tierschutzfeindlichkeit- und Unverständnis nur so triefen, gab mir die Lektüre Ihres Buches wieder ein wenig Hoffnung.

Bevor wir jedoch zum Fazit kommen, soll die Matthes & Seitz-typische ansprechende Gestaltung nicht unerwähnt bleiben: Wir haben eine Klappbroschur mit Foto auf der Innenseite, das durch ein Loch im Cover durchscheint (geniale Idee) sowie eine Reihe von Fotoseiten, deren Bilder eine durchdachte ästhetische Anordnung erfahren… Dennoch empfinde ich den Preis von 10 € für 90 minus 15 Fotoseiten, und ich bin weiß Gott niemand, der anhand der Seitenzahl den Wert bemisst, als etwas zu teuer. Das mag daran liegen, dass der »informative« und packende Part erst ab der Hälfte beginnt. Der explorative Charakter des Textes mit seiner ausgiebigen Hinführung zum Thema gefiel mir zwar durchaus, doch erscheint er mir im Verhältnis zum besagten »Erkenntnisteil« als zu weitläufig. Missen möchte ich ihn nicht, vielmehr hätte ich mir zusätzlich noch ein paar Hintergründe zur Haltung der Tiere vor Ort, besonderen Vorkommnissen, der Löwensymbolik oder/und dem Verhältnis von Mensch und Löwe gewünscht, was jedoch wohl eines Tages ein neuer Band der Naturkunden-Reihe übernehmen wird…

Dennoch sei meine Empfehlung für »Löwenbaby« ausgesprochen, ihr werdet zweifellos klüger aus der Lektüre herausgehen: Eine kurzweilige, spannende und weitsichtige Auseinandersetzung mit einer Randthematik, die jedoch, den historischen Kontext treffsicher einbindend, überraschende Erkenntnisse offenbart und sich nicht davor scheut, mit dem Finger auf uns zu zeigen. Mein Interesse an »Welteis«, einem preisgekrönten weiteren Titel der Autorin (ebenso bei Matthes & Seitz erschienen) ist definitiv geweckt!

Christina Wessely | Löwenbaby | Matthes & Seitz | 90 Seiten | Preis:  10,00€  | ISBN: 978-3-95757-716-0

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