Naturkunden von Matthes & Seitz ist zweifellos eine der schönsten Buchreihen, die es derzeit auf dem Markt gibt. Mit ihrer unbändigen Liebe zur Buchgestaltung und dem hohen Maß an inhaltlicher Qualität hege ich nach der Lektüre stets den drängenden Wunsch, nie wieder anders zu lesen.
Auf meinem letzten literarischen Ausflug in die Natur entführte mich Peter Geimer in die Welt der Fliegen. Wer nun ein Portrait zu Schwarmverhalten, Brutgewohnheiten und evolutionären Entwicklungen erwartet, wird hier enttäuscht – zum Glück. Denn das, was der Kunsthistoriker hier entwirft, ist so viel besser: Eine »facettenreiche Geschichte des Mit- und Gegeneinanders von Mensch und Fliege« (Klappentext), dargestellt anhand von herrlichen Beispielen aus Literatur, Fotografie, Kunst, Film und Wissenschaft. Es ist faszinierend, wie präsent das Insekt in sämtlichen Medien ist und war und wie selbstverständlich es als Symbol für das Schlechte, das Ekelerregende, das Unnütze dient.
»Wer Fliegen am Leben lässt, fällt auf.« S.20
Die Gedanken und Kapitel fließen nahtlos ineinander über (Geimers Gespür für die Auswahl und Einbindung von Zitaten sei hier besonders hervorgehoben), alles folgt einem angenehmen Flow, greift mitunter jedoch auch überraschend zurück oder verliert sich zu sehr im Detail und in Redundanzen, was das Gleichgewicht etwas ins Wanken bringt. Dennoch flogen die Seiten nur so dahin, zu gespannt las ich vom Ursprung unserer Abneigung gegen die Fliege, von Fliegenhassern und Tötungsmethoden, von Fliegenbildnissen, die der Kunstwelt neue Kontroversen offenbarten, von Verwüstung, ausgelöst durch ein einziges Insekt, von Fliegen in Menschenkörpern und fliegenden Menschen, von einem Märchen meines Helden E.T.A. Hoffmann, das ich noch nicht kenne, von Mark Twains Umdeutung der Genesis, die ich nun dringend lesen muss und von Zuchtexperimenten, die mich einmal mehr angeekelt dem grenzenlosen Wissensdrang der Menschen gegenüber zurückließen.
»Die Macht der Fliegen zeigt sich in ihrer stoischen Unbekümmertheit. Der gute Wille beeindruckt sie ebenso wenig wie die Androhung von Gewalt. […] So lauert im Hass auf die Fliegen wohl auch die heimliche Gewissheit, dass wir ihnen wohl gleichgültiger sind als sie uns.« S.25
Abschließend werden einige ausgewählte Fliegenarten auf je einer Seite vorgestellt, die mitunter bereits Erwähnung im vorangegangenen Text fanden. So erfahren wir etwa, dass die Gemeine Breitstirnblasenfliege eine ziemlich fiese Genossin ist, die ihre Eier auf dem Hintern einer nichtsahnenden, Pollen sammelnden Hummel platziert und sie somit zum todgeweihten Wirt ihrer Larven kührt. Oder, dass die Stechende Tsetsefliege die Schlafkrankheit überträgt, weshalb in Ermangelung eines Impfstoffes zeugungsunfähige Insekten gezüchtet und in die Wildbahn entlassen werden, um die Population einzudämmen. Wusstet ihr, dass Bremsen zu den Fliegen gehören und dass die Facettenaugen einer Stubenfliege aus je 3000 Einzelaugen bestehen, die ganze 3000 Bilder pro Sekunde erfassen? Wir mit unseren ca. 60 Bildern pro Sekunde sehen dagegen ziemlich alt aus.
Es sind wahnsinnig viele spannende Fakten und skurrile Geschichten, die Peter Geimer in »Fliegen. Ein Portrait« spielerisch miteinander verknüpft, aufgewertet durch die edle Buchgestaltung mit zahlreichen farbigen Abbildungen, roter Fadenheftung und schwarzem Kopfschnitt. Wenn ihr also das Buch oder eine seiner Schwestern seht, greift gern zu. Die Entdeckung der Naturkunden-Reihe lohnt sich definitiv!
Peter Geimer | Fliegen. Ein Portait | Matthes & Seitz | 140 Seiten | Preis: 18,00€ | ISBN: 978-3-95757-617-0
Ich mag diese Reihe auch sehr. Und das Stoische und Unbekümmerte der Fliegen ist Klasse:)
Noch eine Nicht-Fliegen-Hasserin! Ich finde dieses Zitat einfach unglaublich treffend.. Welchen Band kannst du besonders empfehlen? 🙂
Oh ja, so eine handwerkliche und inhaltliche wunderbare Reihe! Irgendwie verschenke ich sie aber am ehesten, aber ein paar Titel habe ich auch im Regal. Ich kann nur jedem empfehlen da Mal zu schauen, für jeden etwas dabei und dann noch so schön!
Liebe Grüße
Nina
Oh ja, die Sache mit dem Verschenken… Dann schaut man einmal rein und will es am liebsten für sich 😉