Das Wasser am Hals

»DAS WASSER AM HALS steht dort in Majuskeln, und darunter Ein Protokoll und der Name der Verfasserin, neben den sie – ungewöhnlich genug – ihre Berufsbezeichnung gesetzt hat: Automateneinrichterin.« S.9

Als Karl-Georg Ammer, seit kurzem Lektor eines bekannten Verlages, vor einigen Wochen von seinem Chef beauftragt wurde, ein unverlangt eingesendetes Manuskript zu begutachten, über das er, der Chef, sich keine rechte Meinung bilden könne, ahnte der Mittdreißiger noch nichts von den weitreichenden Auswirkungen, die es auf sein Leben haben sollte. Denn während er nun den schnell zum Feind erklärten Text durch ein saftiges Gutachten zu vernichten gedenkt, ist es nicht nur der nahe Deich, an dem sich Unheil zusammenbraut…

Viel mehr Worte sollen an dieser Stelle auch nicht über den Inhalt von Paul D. Bartschs »Das Wasser am Hals. Zwanzig Sätze über die Trägheit« verloren werden, da man hier trotz bzw. gerade wegen der geringen Handlung, die einen einzigen Tag umfasst, Gefahr läuft, Zusammenhänge vorwegzunehmen.

Ehrlicherweise muss ich gestehen, dass mich das Buch erst ab der Hälfte »abholen« konnte, was zum einen auf meine falschen Erwartungen zurückzuführen ist – ich hatte mit einer weniger alltäglichen und zugleich nicht derart tiefgreifenden Geschichte gerechnet – und zum anderen dem Schreibstil zuzuschreiben ist, mit dem ich, obwohl ich durchaus Fan von komplexen Sätzen bin, nicht so recht warm werden konnte. Grund hierfür war die Überfülle an irrelevanten, aufgeplusterten Details, die wie heiße Luft zwischen den Zeilen hingen und auf mich und meine Bereitschaft, weiterzulesen, erschlagend wirkten, da sie oft weder den Fortlauf der Geschichte  förderten, noch in irgendeiner Weise (zumindest für mich) als interessant bezeichnet werden könnten (es sei hier auf den Extremfall einer fast einseitigen Ausführung über das Wetter hingewiesen).

Als vollkommen gegensätzlich empfand ich hingegen den Schreibstil der eingeschobenen Manuskriptfragmente, die mir stilistisch wie inhaltlich außerordentlich gut gefielen und so manch Markierung meinerseits erfuhren. Erklären kann ich mir diesen Kontrast nur dadurch, dass jene Texte (auch durch die Ich-Perspektive) weit persönlicher und emotionaler gestaltet sind, mitunter sogar lyrische Einschläge aufweisen, während die Haupthandlung durch einen auktorialen Erzähler geschildert und damit aus weiter Distanz aufgenommen wird. Wir blicken also auf den Protagonisten herab, als wäre er ein zu analysierendes Insekt, verfolgen jede seiner Bewegungen und wissen um seine Gedanken, fühlen uns aber dennoch fern, weil die gottgleiche Instanz nicht müde wird, uns darauf hinzuweisen, dass wir nur die Beobachterrolle einnehmen (ein raffinierter Kniff, den ich schon bei E.T.A. Hoffmann stets sehr zu schätzen wusste). Da die auktoriale Perspektive recht selten genutzt wird, war es interessant,  hier einmal ein moderneres Beispiel und seine Herangehensweise  verfolgen zu können. Irritiert hat mich allerdings die Tatsache, dass der Erzähler, wenn er kommentierend in Erscheinung tritt, in der »wir«-Form verweilt, sodass man sich als Leser zunächst eingeschlossen fühlt, zumindest bis an anderer Stelle jenes »wir« klar vom »Leser« abgegrenzt wird, als gäbe es gleich eine ganze unsichtbare Erzählergruppe…

Neben den Manuskriptfragmenten gefielen mir die Schauplatzwechsel zur Frau des Protagonisten besonders, da Bartsch es hier feinfühlig und nicht zuletzt durch treffende Vergleiche vollbringt, Frau Ammers inneren Konflikt nach außen zu tragen und zugleich einem Generationskonflikt gegenüberzustellen. Hierbei sah ich sämtliche Charaktere und deren Gefühle vor mir ausgebreitet, ohne dass es vieler Worte bedurft hatte.

»Es gehe um sie und um Karl und vor allem darum, wann einer etwas merke, was erst passieren müsse und dass es irgendwann auch zu spät sein könne. Und dabei ringt sie die Hände, und das nicht nur, weil die Hautcreme noch nicht ganz eingezogen ist.« S.68

Etwas vermisst habe ich den Witz, der zwar durch manch eigenwillige Wortwahl oder sarkastische Bemerkung des Erzählers anklingt, jedoch im Nebel des ausschweifenden Schreibstils untergeht. Hinzu kommen die gehäuften Andeutungen zum Schauplatz der DDR (»Die DDR-Medien berichten« S.8), die zwar durchaus zum Verständnis mancher Aussagen und Einstellungen hilfreich sind, allerdings würde eine Erwähnung zu Beginn des Buches meines Erachtens nach ausreichen, um das (ideologische) Feld abzustecken.

Trotz dieser vielen kleinen Mäkeleien meinerseits war ich, wie bereits anfangs erwähnt, grundsätzlich recht zufrieden mit der Lektüre, nachdem ich mich erst einmal an die Eigenarten dieses Buches gewöhnt hatte. Die ausgeworfenen Leinen werden fachmännisch eingezogen und nach und nach miteinander verknüpft, sodass am Ende ein rundes Bild über Gleichberechtigung und die Angst, sich selbst zu verlieren, entsteht, ohne dass die Handlung (oder besser: der Erkenntnisfortschritt) jemals auf der Stelle getreten wäre. Ich fühlte mich angesprochen und inspiriert, mein eigenes Leben zu reflektieren, was wohl das Beste ist, das ein Buch in einem auslösen kann…

Besten Dank an den Mitteldeutschen Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!

Paul D. Bartsch | Das Wasser am Hals | Mitteldeutscher Verlag | 160 Seiten | Preis:  12,00€  | ISBN 978-3-96311-137-2

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