Georgiens Geschichte in 33 Objekten

»Es war 1969, die Saison der Feldarbeiten ging ihrem Ende zu. Plötzlich brach ein starker Wind los. Das gilt bei Archäologen als ein bewährtes Zeichen für neue Entdeckungen. Und tatsächlich, man stieß auf eine von Erde überschüttete Grabstätte, von der man annahm, sie sei geplündert, da man einen von Dieben in antiker Zeit ausgehobenen Schurf entdeckte. Aber glücklicherweise stellte sich heraus, dass die Diebe nur in einen einzigen Hohlraum der Grabstätte gelangt waren.« S.42

Schlummerte in mir nicht die brennende Leidenschaft für Literatur und müsste ich mir nicht eine gewisse Abneigung gegenüber längeren Reisen eingestehen, wäre mit Sicherheit eine begeisterte Archäologin aus mir geworden. So jedoch habe ich mich mit Dokumentationen und Sachbüchern zufrieden zu geben, wobei meine letzte Lektüre dieser Art mich in eine sehnsüchtige Forschungsstimmung versetzte…

»Georgiens Geschichte in 33 Objekten« vereint 33 Zeitschriftenartikel der »National Geographic Georgia«, welche im Rahmen eines Projektes mit dem Georgischen Nationalmuseum in den vergangenen zwei Jahren entstanden sind. Die behandelten Gegenstände sind vielfältig, reichen von menschlichen Schädeln über Stickereien, Töpferware und Malerei hin zu Schmetterlingen, Waffen und Geldscheinen. Die Reihenfolge der Artikel folgt einer losen Chronologie und vereinfacht es so dem Leser, sich ein Bild von der bewegten Geschichte und dem Charakter Georgiens zu machen. Bedingt durch die Anzahl und Art der behandelten Objekte erschließen sich historische Vorgänge natürlich nur bruchstückhaft, doch wenn ich eine trockene Geschichte Georgiens hätte lesen wollen, dann hätte ich auch einfach Wikipedia zu Rate ziehen können. Das, was David Lordkipanidze uns hier bietet, ist vielmehr ein gezielter Exkurs in Momentaufnahmen, die die archäologische Welt mitunter gewaltig in Aufruhr versetzten, gewürzt mit einer Prise von liebenswertem Patriotismus und Begeisterung für das Fach.

Es waren so einige spannende und mitunter ungewollt komische Beiträge dabei (Wusstet ihr, dass es eine Auszeichnung zum »Fossil des Jahres« gibt?). Besonders interessant erschien mir die Entdeckung, dass Marken schon für die Menschen vor tausend Jahren ein Begriff waren. Bewiesen wird dies mitunter durch eine Amphore, die auf 350 – 320 v. Chr. datiert wird und mit einem »Logo« gekennzeichnet wurde, um auf die verantwortliche Keramikwerkstatt hinzuweisen. Georgische Waffenschmiede versahen zudem ihre Ware häufig mit europäischen Signets, da z.B. französische Schwerter sehr angesehen waren.

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Abgesehen von derlei spezifischen Fakten (mein aktiver Wortschatz wurde um die Begriffe »Rhyton« = Weintrinkgefäß in Form eines Tieres und »Kurgan« = Grabhügel ergänzt) fügten sich die Puzzleteile rund um die Identität Georgiens mit jedem Eintrag weiter zusammen, sodass sich am Ende ein Bild, mehr jedoch ein Gefühl gegenüber dem Staat einstellte. Man lernt ein Land kennen, in dem die ersten eurasischen Menschen lebten, ein Volk, das früh die Landwirtschaft entdeckte und im Laufe der Jahrhunderte wegen machthungriger Nachbarländer zu Kriegern erstarkte. Ebenso lernt man Georgien als ein traditionsreiches, stark vom Christentum geprägtes Land kennen, das sich 1918 zu einer unabhängigen, demokratischen Republik erklärte und kurz darauf in die Fänge der Sowjetunion geriet, sich später jedoch erneut aufbäumte und als eines der ersten Länder von ihr löste.

»Georgiens Geschichte in 33 Objekten« ist trotz des fragmentarischen Charakters ein durch und durch rundes, wertig verarbeitetes und schön gestaltetes Buch mit stärkeren und schwächeren, allesamt jedoch berechtigten Beiträgen. Auch wenn die Texte grundsätzlich eingängig geschrieben sind und viele Fachbegriffe erklären, wird ein Laie wie bei den meisten Sachbüchern weniger daraus ziehen können als etwa ein Archäologiestudent, der die Begeisterung über sensationelle Funde durch sein Vorwissen nachvollziehen kann. Auch die vielen Aufzählungen von Forschern können zunächst irritieren, erklären sich jedoch durch die ursprüngliche Herkunft der Texte. Zudem ist es einfach nur herrlich mit anzusehen, wenn David Lordkipanidze die Fürsorge seiner Kollegen für bestimmte Exponate lobt. Denn hier liegt die große Stärke des Buches: Die spürbare Begeisterung für das Erforschen der Vergangenheit.

Wenn ihr also wissen wollt, wie die georgischen Männer mithilfe ihrer Kleidung flirteten, welches Ass sie beim Kampf im Ärmel (oder besser: in der Brust) hatten, warum es mitunter 10 Jahre dauert, ein Gemälde zu restaurieren und woraus sich schließen lässt, dass die »Heimat des Weins« in Georgien zu suchen ist, dann greift zu diesem Buch!

Vielen Dank an den Mitteldeutschen Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!

David Lordkipanidze | Georgiens Geschichte in 33 Objekten | Aus dem Georgischen von Dr. Manana Paitschadse | Mitteldeutscher Verlag | 112 Seiten | Preis:  20,00€  |  ISBN 978-3-96311-045-0

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