Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß

»Ganz schwach nur, aber sie lebt noch!«
»Ich fürchte, früher oder später werden sie doch alle tot sein…«
»Sie vollenden ihre Leben in Ihrem Schrank.«
»Ja, das tun sie. So kann man das wohl sagen. «  (S.30)

Batterien leben. Und Batterien sterben. Ein interessanter Gedanke. Vor allem aus erzählerischer Sicht, stellt dieser sonderbare Dialog doch schon im ersten Kapitel der Graphic Novel klar, dass es sich hierbei um eine ungewöhnliche Geschichte handelt. Bemerkenswert, möchte ich sagen, obwohl die zugrundeliegende Story recht unspektakulär klingen mag: Tsukiko, Ende dreißig, trifft in ihrer Stammkneipe auf einen alten Lehrer, den sie, anfangs aus der Not heraus, sich nicht an seinen Namen erinnern zu können und später schlicht aus Gewohnheit, Sensei nennt. Es folgen weitere, zufällige Treffen und schließlich auch gemeinsame Ausflüge, die der Nährboden für eine zarte Liebesgeschichte werden…

»Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß« stammt ursprünglich aus der Hand Hiromi Kawakamis, die den Zeichner Jiro Tanuguchi beauftragte, ihren Roman in einem Manga zu adaptieren. Das Ergebnis ist diese über 400 Seiten und 19 Kapitel starke Gesamtausgabe, die auch als Softcover erhältlich ist. Einmal abgesehen von der Qualität der Geschichte und der Zeichnungen begeisterte mich nicht zuletzt die Aufmachung des Buches überhaupt, wie etwa die wertige Verarbeitung, das dicke Papier, die Tatsache, dass zu Beginn farbige Seiten eingebaut wurden, oder das angefügte, überaus interessante Gespräch zwischen dem Künstler und der Autorin. Es ist ganz einfach ein Buch, das ich gern ins Regal stelle.

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Die Zeichnungen zeugen von viel Liebe zum Detail: Kulissen, Essen (Essen, Essen und wieder Essen!) und Figuren, allem voran die Feinheiten in ihrer Mimik wurden wirklich grandios herausgearbeitet und erlauben es dem Leser über die gesprochenen Worte hinaus, das Gefühlsleben der Protagonisten zu ergründen (zumindest die Interpretation des Zeichners). Aus dem dokumentierten Gespräch im Anhang geht hervor, dass selbst die Beantwortung von so scheinbar banalen Fragen wie dem Abstand der Charaktere beim Laufen viel Überlegung und Überarbeitung bedurften. Doch diese Detailverliebtheit setzt schon in der Geschichte selbst, etwa bei den Marotten der Charaktere ein. Denn davon gibt es so einige.

Der Sensei ist ein altmodischer Mensch, rüstig, etwas verschroben, mit seinen ganz persönlichen Eigenarten. Hähnchenspieße isst er grundsätzlich nur mit Salz, er fühlt sich unwohl, wenn andere ihm seine Getränke nachschenken und abendliche Damenbesuche bei einem Mann hält er für unziemlich. Außerdem ist der Begriff Mobiltelefon der Bezeichnung Handy unbedingt vorzuziehen. Der Sensei ist derjenige der beiden, den man besser zu kennen glaubt, obwohl die Geschichte aus der Sicht Tsukikos erzählt wird, und den man doch nicht so ganz durchschauen kann in seiner erhobenen Position.

Es brauchte länger, bis ich ein Gefühl für den Charakter der Protagonistin bekam. Sie ist still, ernst, abwesend, einsam, ein Stück weit geheimnisvoll. Und dann auf einmal bezeichnete sie sich als kindisch und ich sah, dass sie sich kindisch verhielt, fragte mich aber gleichzeitig, ob das schon zuvor der Fall gewesen war.

»In dem Moment, als die Sonne untergegangen war, überkam mich ein Gefühl des Verlassenseins. Ich ging nach draußen. Ich wollte mich vergewissern, dass ich nicht allein auf der Welt war… Dass ich nicht die Einzige war, die Einsamkeit in ihrem Leben empfand.« S.142f

Die größte Gemeinsamkeit der beiden Hauptfiguren ist zweifellos die Vorliebe für das Kulinarische. Beim Lesen ist einem dringend anzuraten, satt zu sein, denn sonst kommt aufgrund der Fülle an Essens-Szenen zwangsläufig der Hunger. Mir persönlich waren die detaillierten Beschreibungen der Köstlichkeiten hierbei teilweise etwas zu viel des Guten, wobei mich deren Anteil und Beschreibung im Roman sehr interessieren würde, wie auch die Entwicklung der Liebesgeschichte selbst, die gleich dem Rest einem langsamen, unaufgeregten Rhythmus folgt.

Zu Beginn konnte ich mir aufgrund der Art der Gespräche und sicherlich auch aufgrund des Altersunterschieds trotz der Ankündigung im Klappentext nicht vorstellen, dass die Protagonisten sich auf romantische Art annähern würden. Sie erweckten in mir (übrigens bis zuletzt) eher den Eindruck einer Vater-Tochter-Beziehung, stellte Tsukiko doch einen eher kindischen, unsicheren Gegenpol zu seinem erwachsenen, ruhigen Charakter dar. Allerdings erschien mir die Umsetzung dieser Liebe keineswegs unglaubwürdig, da sie etwas ganz eigenes hat, das zu erkunden ich trotz einiger (in meinen Augen) weniger einschlägiger Kapitel absolut empfehlen kann.

Hier geht’s zu einer weiteren Meinung zum Buch.

Hiromi Kawakami /Jiro Taniguchi | Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß | Aus dem Japanischen von  John Schmitt-Weigand | Carlsen Verlag | 440 Seiten | Preis:  28,00€ | ISBN 978-3-551-75449-3

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