Siebeneinhalb Leben

»Und ich saß da mit der Füllfeder in der Hand, der Füllfeder, mit der ich nie schrieb, aber manchmal unterschrieb, einem Schreibwerkzeug für besondere Anlässe. Die Verschlusskappe hatte ich bereits aufgeschraubt, aber Stein wollte diese Geste besten Willens offenbar nicht würdigen. Und dann kam der Zug aus der anderen Richtung, tauchte auf aus dem linken Tunnel, mit weißem Frontlicht, und verschwand im rechten. Und da schraubte ich die Verschlußkappe wieder zu und steckte die Füllfeder wieder ein.« S.52

Paul Spielmann ist Schriftsteller. Er schätzt angespitzte Bleistifte und die diskreten Besucher des Türkenschanzparks, die, sollten sie sich doch einmal auf seine Bank verirren, still Zeitung lesen, Leute beobachten oder vor sich hin dösen, ihn jedenfalls in Ruhe an seiner Autobiografie schreiben lassen. Doch diese Idylle wird jäh durchbrochen, als eines Tages ein Mann neben ihm Platz nimmt, der nicht schweigt, sondern sogar recht viel zu erzählen hat. Max Stein heißt er, wie der Protagonist in »Steins Paranoia«, einem Buch, das der Autor vor vielen Jahren geschrieben hat, und es handle von ihm, behauptet der Störenfried. Doch es gäbe einige Dinge zu berichtigen…

Peter Henisch ist eine Neuentdeckung. Nicht für die Literaturwelt, da ist er schon seit langem etabliert, sondern für mich. Er schreibt so, wie ich es gern könnte: klug, nah und doch nicht zu nah, mit einem Sinn für die richtigen, die menschlichen Details und vor allem: mit Nachhall. Und das alles in einem Potpourri aus Autobiografie und Fiktion, kehrt Henischs Protagonist Paul Spielmann doch in vielen seiner Werke als Alter Ego wieder. Daher verwundert es kaum, dass »Steins Paranoia« tatsächlich 1988 erschien.

Doch diese ganze Raffinesse entdeckte ich leider oder vielleicht doch glücklicherweise erst, nachdem ich die Geschichte gelesen hatte. Denn »Siebeneinhalb Leben« ist eines dieser Bücher, das verschiedene Deutungen erlaubt. Es will nicht zu sehr, ist nicht laut in dem, was es sagt und sagt doch genug. Wenn Passagen verschlungener, reicher an Bildsprache wurden, überkam mich zuweilen das Gefühl, etwas zu verpassen, doch solche Phänomene motivieren mich für gewöhnlich erst recht, das Buch später erneut in die Hand zu nehmen, zumal es sich in diesem Falle mit dem Wissen um die Auflösung ohnehin lohnen würde. Es ist ein Roman mit rotem Faden, mit einem Gespür für das richtige Maß und mit einem Protagonisten, der weiß, wer er ist und woher er kommt.

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Einfach gesagt: »Siebeneinhalb Leben« ist ein Roman, der mir Freude bereitete, schon allein des handwerklichen Könnens wegen. Hinzu kommt die intelligente, sich unangenehm zuspitzende und mit großer Sprachgewandtheit verfasste Geschichte, die spielerisch mit der Realität jongliert und deren politische Aussage zu ergründen eines aufmerksamen Lesers bedarf. Danke dafür!

Peter Henisch | Siebeneinhalb Leben | Deuticke Verlag | 128 Seiten | Preis:  18,00€ | ISBN 978-3-552-06380-8 

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