Ob es nun schmeichelhaft ist, dass VICE es als »das beste Buch des Jahres« bezeichnet, habe ich, die ich selbst erst durch einen bento-Artikel darauf aufmerksam wurde, ganz sicher nicht zu beurteilen, doch Tatsache ist, dass diese 78 Seiten pures Lesevergnügen in mir auslösten!
»Die cops ham mein handy« titelt das kleine Heftchen in klassisch gelbem Reclam-Gewandt und gibt frech vor, zu sein, was es nicht ist (durchaus aber über das Potential verfügt): ein Klassiker. Erst auf den zweiten Blick bemerkt man die feinen äußeren Unterschiede zu den lästigen Erinnerungen aus der Schulzeit wie etwa die Größe, zusätzliche Bindungsfalten und den bearbeiteten Verlagsnamen. »Darf er das?«, fragte ich mich, schlug die erste Seite auf und stellte fest: »Ja, er darf. Mit freundlicher Genehmigung des Reclam-Verlages.« Denn wie ihr nun richtig vermutet, wird das Buch von keinem Verlag, sondern dem Leipziger Kommunikations- & Grafikdesigner Lukas Adolphi herausgegeben, dem ungeheuerliches passiert ist:
Im Jahr 2010 wird er von zwei Jugendlichen überfallen, Geld und Handy werden ihm abgenommen und er vollkommen verwirrt ob der unwirklichen Situation zurückgelassen. Einige Wochen später hat man die Diebe ausfindig gemacht, es kommt zur Gerichtsverhandlung, der weitere Opfer der berüchtigten Jungs beiwohnen. Schließlich, Monate später, erhält Herr Adolphi sein Handy zurück und muss überrascht feststellen, dass einer der Täter – unser Protagonist Marco (alle Namen und Ortsbezeichnungen wurden geändert) – das Telefon zwei Wochen lang benutzt hat und sämtliche Nachrichten aus dieser Zeit noch gespeichert sind…
»Wenn ich schlafen gehe dann ist es schon im dunkeln. Ich schaue nach oben und die engelsterne sind am funkeln. Doch der schönste und hellste stern…der bist du und den mag ich besonders gern. Ich liebe dich. Dich liebe ich. Von mir für dich. In liebe ich…<3« S.8
Vergangenes Jahr erschien die erste Auflage des Buches, das die Nachrichtenverläufe als Drama präsentiert und sogar ein überaus hilfreiches Glossar zu verwendeten SMS-Abkürzungen und »Codes« (heu/streuh = Marihuana, kasse machen = Leute überfallen) enthält. Um dem Leser einen Überblick über die hohe Darstelleranzahl zu ermöglichen, fügte Adolphi zudem ein überaus unterhaltsames Figurenverzeichnis hinzu:
Die Geschichte beginnt damit, dass Marco sich auf überaus feinfühlige Art von seiner Freundin Jana trennt, um frei für seine neuste Flamme Anne zu sein, der er auch im Verlaufe des Buches eine Reihe höchst poetischer Gedichte widmet…
Es ist überraschend einfach in Marcos Welt einzutauchen, neben seinen zahlreichen Freundinnen mit gewissen Vorzügen auch die Kumpels und deren Umgang untereinander kennenzulernen (etwa »meiner« in Kombination mit Kusssmileys am Ende einer Nachricht als Zeichen der Zuneigung). Neben den Frauengeschichten sind genervte Kommentare über Schule und Lehrer; Geld, das geschuldet wird; Pläne, Kasse zu machen und Partys die Hauptinhalte der Kommunikation, die unterhaltsamer Weise immer wieder durch Nachrichten von Mutti und Guthabenwarnungen von blau.de unterbrochen wird. Dass man hier keine klassischen Bewertungskriterien zu Charakterentwicklung, Dramenaufbau und Inhalt anwenden kann, ist klar, wobei ein Spannungsbogen durchaus auszumachen ist, als Marco und sein Kumpel Paul einen Dreier planen…
Ich habe dieses Büchlein einer Reihe von Freunden empfohlen, die allesamt begeistert davon waren, sodass ich euch nur ermutigen kann, die 7,48 € (zzgl. Versandkosten; alternativ gibt es jetzt auch eine eBook-Version) in die Hand zu nehmen und dieses Leseerlebnis nicht zu verpassen.
die cops ham mein handy | Lukas Adolphi | 80 Seiten | 7,48 €